Es hat in der Arbeit von Marion Stille immer Phasen mit Veränderungen und Erweiterungen gegeben, aber insgesamt doch viel Kontinuität, Beständigkeit, Folgerichtigkeit.
Das zeigt sich in dieser Ausstellung, nicht zuletzt durch die Auswahl der Zeichnungen aus den letzten zwei Jahren, die wie Rückbesinnung, wie ein Bekenntnis zur künstlerischen Herkunft von der damaligen Hochschule in Weißensee wirken. Jedenfalls musste ich an die Lehre von Eberhard Bachmann denken, der oft in dieser Galerie war, als er ganz in der Nähe lebte und der auch ein sehr geschätzter Lehrer für Marion Stille war. Bachmann vermittelte das Bemühen um Formfindungen gerade für die plastischen Verläufe des gewachsenen Holzes.
Es geht aber weniger um Rückbesinnung. Die Zeichnungen lassen strukturelle und thematische oder motivische Zusammenhänge zur Malerei erkennen, wie wir sie hier sehen. Die malerische Abstraktion ist eine andere, aber der strukturelle Ansatz bestimmt auch die flächige malerische Formensprache. Die Bilder in diesem Raum kann man als Abstraktionen verstehen oder als Landschaftsmotive, sie sind tatsächlich durch bestimmte konkrete landschaftliche Situationen angeregt.
Der Bezug auf konkrete Landschaftseindrücke war immer wichtig für Marion Stille, darüber haben wir schon oft gesprochen, wobei sie meint, dass dieser konkrete Landschaftsbezug nur für sie selbst eine Rolle spielt und für den Betrachter nur zu vermuten ist oder eigentlich nicht erkennbar wird. Der Motivbezug ist hier nicht zu verstehen als Bedeutungsvorgabe oder Erzählung, was man heute „story telling“ nennt, er bedeutet auch nicht Einengung, sondern eher etwas wie Grundorientierung.
Hans Vent, auch ein wichtiger Lehrer für Marion Stille, sagte einmal, er habe es natürlich auch mit Landschaftsthemen versucht, aber dann begriffen, das er dafür keine Form hatte und es sein lassen. Es gibt da keine Fronten oder Parteiungen, nicht wirklich. Wenn eine gewisse formale Reinheit erreicht ist, sind Bilder Individuen aus eigenem Recht, unabhängig von der Thematik. Das ist hier so, möchte ich meinen.
Die Hochformate sind komplexe Gebilde, die sehr bewusst gebaut sind, anspruchsvolle Farben-Architekturen. Die kleineren Bilder hier wirken wie von selbst entstanden, mühelos, ganz selbstverständlich auch emotional, wie mit tiefen Grundtönen in freier Improvisation.
Marion Stille hat ihren malerischen Ansatz im Fresko fortgesetzt oder auch parallel entwickelt in einem schon fast Jahrzehnte andauernden Projekt; sie zeigt im hinteren Ausstellungsraum mehrere Fresko-Tafeln, die von 2008 datieren.
Eine vierte Werkgruppe sind die Holzschnitte, an denen Marion Stille zuletzt häufig gearbeitet hat. Der Zusammenhang zur Zeichnung und Malerei stellt sich für mich dadurch her, dass diese Ausdrcksformen in der Abstraktheit verbunden sind, aber damit zugleich eine durchgehend gemeinsame Gestimmtheit des Bildhaften vorhanden ist. Rhythmus und Struktur scheinen sich in gleichsam musikalische Bewegung aufzulösen und die Malerei macht vergessen, dass sie durch einen Wirklichkeitsbezug getragen und gehalten wird. Für mein Empfinden verbindet sich eine gewisse Schwere und das Kraftvolle und Ernsthafte der Bilder zu einem lyrischen Gesamt-Tenor.
Das schließt nicht aus, dass die Farbigkeit variiert, sich aufhellt – bei den Fresko-Tafeln ist das so; die Holzschnitte sind durch die Überlagerungen bedingt auch in den Farben anders, Figurationen aus Restformen haben mitunter etwas Verspieltes. Im ganzen gesehen ist diese künstlerische Arbeit von der lyrischen Abstraktion getragen, der freien, ungegenständlichen malerischen Form.
Unter den Berliner Künstlern dieser unserer Generation gibt es einige verwandte Orientierungen, auch wenn die Positionen in der Formensprache weit auseinander liegen und jeder allein mit sich ist bei dem, was er macht. Es gibt eine tragfähige Ausdruckskultur, die auch bestärkt.
Wie anfangs angesprochen ist bei Marion Stille der lyrische Tenor untersetzt von der eigenen Empfindungsgrundlage und von den Eindrücken bestimmter Landschaften. Diese Malerei ist nicht willkürlich und ausgedacht, sondern beruht immer auf der sinnlichen Empfindung, für die es einen Anlass und sogar einen konkreten Ort gegeben hat. Die Empfindung oder Gestimmtheit ist aber nicht ans Motiv gebunden, sondern immer schon auf das Medium Malerei bezogen. Die Malerin denkt in der Sprache der Malerei, aber sie folgt der Empfindung und sucht die Übereinstimmung mit ihr.
Marion Stille sagte einmal, das beides von Anfang an synchron gehen muss. Das mit den Ausdrucksmitteln Gemachte soll das Gemeinte
der sinnlichen Gestimmtheit nicht übertönen. Ich zitiere, was ich selbst einmal dazu formuliert habe:
Es gibt vielleicht eine Art Zweisprachigkeit oder sogar Mehrsprachigkeit: eine Muttersprache der Empfindung und noch davor eine Sprache
der wirklichen Gegenstände, und dann die Sprache als Ausdrucksmittel, die reflektiert ist.
Sicherlich ist der Arbeitsprozess streckenweise ein Selbstläufer, wie gesagt wirken manche Bilder wie von selbst entstanden – nach einem Wort des Bauhaus-Meisters Gerhard Marcks: 'Letztlich ist bei allem eine Gnade, die man sich nicht selbst geben kann.' Dass es bei Marion Stille immer wieder das Bedürfnis nach zeichnerischen Naturstudien gibt, kann man als Vergewisserung verstehen; die Tatsache, dass sie gezeigt werden, besagt, dass sie dazu gehören zum Arbeitsprozess und zum Werk, weil es dabei wie in der Malerei und im Fresko um organische Strukturen geht, um deren Bewegung und Rhythmus, um das An- und Abschwellen der Formen und Verläufe, um quasi Stoffwechselprozesse wie beim Atmen. Die bildnerischen Entscheidungen sind eigentlich immer spontan – eigentlich, denn auch der künstlerische Prozess hat seine Logik, die einem Stoffwechsel entspricht bei dieser Art der Malerei.
Mit den Holzschnitten ist es etwas anders – und auch wieder nicht, insofern die Spontanität durch den Materialwiderstand begrenzt wird, was ins Bildhafte hineinwirkt und ihn sperrig macht und eben auch Verspieltheit zulässt. Organisch ist demgegenüber auch der Arbeitsprozess selbst, der künstlerische Wille, das Ego und seine Kraft und Gestimmtheit. So verstehe ich diesen Arbeitsprozess jedenfalls.
Frühere Ausstellungen von Marion Stille in Zehdenick, in der zweiten Pratergalerie waren starke Eindrücke, an die ich mich erinnere.
Diese kräftige und klare Ausstellung ist auch wieder ein starker Auftritt, zu dem ich gratuliere.